Die praktische Ermittlung der Ost-West-Richtung: Ein Stern wird abends bei seinem Aufgang im Osten angepeilt. Der Visierstab und die Fluchtstange stehen in einem bestimmten Abstand a. Um eine genaue Messung zu erhalten, kann dieser Abstand ohne Weiteres 100 m und mehr betragen. Die Messung wird aber nicht am Pyramidenbauplatz durchgeführt, sondern in einem Observatorium, das freien Blick nach Osten und Westen ermöglicht.
Derselbe Stern wird am Morgen bei seinem Untergang im Westen in gleichem Abstand a angepeilt. Mit Hilfe der optischen Nivellierung wird gewährleistet, dass beide Fluchtstangen gleich hoch sind. Die Verbindungslinie zwischen den beiden Fluchtstangen entspricht dann genau der Ost-West-Richtung.
Der künstliche Horizont: Die Fluchtstangen sind zwar beide gleich hoch, aber höher als der Visierstab. So kann ein künstlicher, höherer Horizont geschaffen werden, der Peilungen auch über dem natürlichen Horizont erlaubt. Der Stern ist besser sichtbar, das Gelände muss nicht unbedingt waagrecht sein.
Wir können also davon ausgehen, dass die Ägypter zur Zeit des Pyramidenbaus sehr wohl wussten, wo die einzelnen Sterne aufgingen, schließlich verfügten sie damals bereits über 2500 Jahre Erfahrung. Sie mussten nicht erst im Niltal unter ungünstigen Bedingungen mühsam feststellen, wo denn nun eigentlich Osten ist. Die oben beschriebene Methode, die Himmelsrichtungen mit Hilfe des Auf- und Untergangspunktes eines Sternes zu bestimmen, hat allerdings zwei Nachteile.
Der erste Nachteil besteht in der Form des Geländes. Das Gelände muss zumindest einigermaßen waagrecht sein, um den Stern anvisieren zu können. In Gizah ist dies nicht der Fall, denn es liegt im Niltal. Das Gelände um die drei Gizah-Pyramiden steigt nach Westen hin an. Für die Chefrenpyramide wurde an der Westseite der Fels abgetragen und der Blick nach Westen wird durch die dabei entstandene Felswand versperrt.
Der zweite Nachteil: Den Auf- und Untergang eines äquatornahen Sternes sieht man während ein- und derselben Nacht nur im Winter, sonst ist es entweder am Abend oder am Morgen zu hell. Gehen wir aber davon aus, dass die Methode zumindest einige Monate lang angewendet werden soll, ist das in der beschriebenen Art und Weise nicht möglich. Über einige Monate bedeutet, dass eben sowohl die Gründung als auch die Kontrolle des Baus in die Sommermonate fallen können.
Aber auch diese Klippe lässt sich umschiffen. Man misst zuerst die Ost-West-Richtung, dann wird in einer gewissen Entfernung der Aufgangspunkt eines Sternes und dessen Abstand von der Ostrichtung bestimmt. So erhält man zwei Maße: Abstand Visierstab – Fluchtstange = a und den Abstand Fluchtstange – Ostrichtung = b. Das Verhältnis dieser beiden Längen kann dann überallhin übertragen werden.
Die Ägypter konnten nachweislich bereits Jahrtausende vor dem Bau der Pyramiden die Ost-West-Richtung sehr präzise bestimmen, wie uns Funde in Nabta Playa zeigen. Nabta Playa ist ein Ort im Süden Ägyptens nahe der sudanesischen Grenze. Vor 7000 Jahren war hier noch fruchtbares Grünland, heute liegt er in der Wüste. Im Jahr 1974 entdeckte dort eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung des Anthropologen Fred Wendorf das wohl älteste Observatorium der Welt.
Spätere Vermessungen ergaben, dass die Aufgangs- und Untergangspunkte verschiedener Sterne - ähnlich wie in Stonehenge – angepeilt und mit Megalithen markiert worden waren. Auch die Ost-West-Richtung war mit einer Genauigkeit von einer Bogenminute eingemessen worden.