Das zweite Problem an der Kante ist etwas schwieriger zu lösen. Wenn die Zugseile nur vorne am Stein befestigt werden, bleibt der Stein beim Heraufziehen an der Kante hängen. Er kann zwar bis zur Kante gezogen werden, aber nicht über die Kante hinweg.
Mein Vorschlag: Die Backbord-Steuerbord-Methode
Die Ägypter befestigten nicht nur vorne am Stein ein Seil (blau) sondern auch eines an der Rückseite (rot).
An jedem Seil steht eine Zugmannschaft und beginnt den Stein hinaufzuziehen, bis er beginnt, sich nach der Seite zu neigen und aus der geraden Zugbahn gerät. Der Stein benötigt auch noch eine seitliche Führung.
Die Kräfte von zwei Zugmannschaften würden zwar ausreichen, den Stein hinaufzuziehen, sie lassen sich aber nicht so genau koordinieren, dass der Stein in der Zugrichtung bleibt. Wenn aber auch links und rechts etwa in der Mitte des Steins je ein Seil befestigt wird (grün), behält der Stein seine Position beim Hinaufziehen, er kippt nicht seitlich weg.
Dazu braucht es einen Steuermann, der den Stein beobachtet - die Zugmannschaften selbst können ihn ja nicht sehen - und der die vier Mannschaften dirigiert.
Droht der Stein nach links auszuscheren, muss die linke Mannschaft mehr ziehen und umgekehrt. An der Kante angekommen, üben auch die beiden seitlichen Seile (grün) keine Zugkraft mehr nach oben aus, der Stein blockiert. Die zwei Mannschaften ‚Grün‘ und die Mannschaft ‚Rot‘ halten den Stein in Position. Jetzt kann die Zugmannschaft des vorderen Seils ‚Blau‘ den Stein kippen, noch bevor sich sein Schwerpunkt über der Kante befindet. Das hat den großen Vorteil, dass der Stein nicht mit voller Wucht auf die Steinschicht fällt, auf die er zu liegen kommt.
Die Kantenschuhe werden so gelegt, dass die Kufen zwischen ihnen hindurchgleiten. Außerdem sind sie etwas niedriger als die Kufen, so können die Steine, die ja auf den Kufen liegen, einfach darüber hinwegfahren.
Wenn wir uns mit ägyptischen Inschriften auseinandersetzen, gibt es nur wenige zum Pyramidenbau. Eine davon beschreibt die Einteilung der Arbeiterschaft. Diese waren in Gruppen zu je 200 Mann gegliedert. Eine Gruppe bestand wiederum aus vier Mannschaften, die nach den Richtungen am Schiff benannt waren: Backbord, Steuerbord, Bug und Heck. Außerdem gab es noch eine Bezeichnung, die scheinbar nicht genau übersetzt werden kann, aber soviel wie Steuermann bedeutete. Es ist bislang unklar, wie diese Bezeichnungen zu interpretieren sind. Ich übertrage die Bezeichnungen jetzt auf die hier vorgestellte Aufteilung der Zugmannschaften, und so wird plötzlich klar:
Die Bezeichnungen Backbord, Steuerbord, Bug und Heck beziehen sich auf die Positionen, an denen die Seile am Steinblock befestigt sind.
Der Steuermann, der an der Kante stand und den Stein beobachtete, konnte durch diese Bezeichnungen jeder Mannschaft genaue und unmissverständliche Befehle geben, wie etwa „mehr Backbord, mehr Bug, weniger Heck...“.